59. Berlinale: Nichts zu lachen

Wenig zu lachen bot die 59. Berlinale nicht nur durch den Inhalt der Wettbewerbsfilme, auch die künstlerische Qualität sorgte kaum für Glücksgefühle: Solides Mittelmass dominierte, auf ein herausragendes Meisterwerk wartete man vergebens, sodass es am Ende des Festivals auch rund ein halbes Dutzend Anwärter auf die diversen Preise gab.

Was Klamauk wie „The Pink Panther 2“ im Programm eines A-Festivals zu suchen hat, darf man sich schon fragen. Notdürftig wird da eine Geschichte zusammengeschustert, um Steve Martin als Inspektor Clouseau eine Plattform für diverse Spässchen zu bieten. Gewiss ist aber auch, dass dies die einzige echte Komödie im Wettbewerbsprogramm (allerdings außer Konkurrenz laufend) war.

Angesagt waren sonst ernste Themen wie Traumatisierung durch Krieg und Vergewaltigung oder die Trauer der Hinterbliebenen. Am radikalsten erzählt Peter Stricksland in seinem archaischen Rachedrama „Katalin Varga“ davon. Als die Titelfigur dieses Films von ihrem Mann verstoßen wird, weil er erfährt, dass er nicht der Vater des etwa neunjährigen Sohnes ist, macht sich die Frau auf die Suche nach den Männern, die sie damals vergewaltigten. Brutal tötet sie den ersten mit einem mit Steinen gefüllten Strumpf, während sie sich dem zweiten zu erkennen gibt und in Gegenwart seiner Frau detailreich von ihrer Vergewaltigung erzählt. Umbringen wird sie ihn nicht, denn mit der Schuld – und nicht nur mit der damaligen, sondern auch mit den Kreisen, die sie in der Gegenwart zieht - leben zu müssen, wird für ihn schlimmer sein. Und auch für Katalin gibt es keine Erlösung, vielmehr führt ihre Rache am ersten Vergewaltiger zu einer Vergeltungsaktion des Bruders.
Zwischen statischen Szenen und solchen, in denen die Handkamera im Stil der belgischen Dardenne-Brüder hautnah der Protagonistin folgt, wechselnd und untermalt mit unheilschwangerer, die Ausweglosigkeit betonender Musik, entwickelt sich ein roher, der Zeit enthobener und in den geradezu mythisch wirkenden nebel verhangenen und waldreichen Karpaten spielender Film, der seine biblisch-religiösen Züge mit direktem Hinweis auf die zehn Gebote explizit nach außen kehrt. – Kein Film, den man mögen muss oder kann, aber zumindest einer, der sich in kein Schema einordnen lässt.

Um die Folgen einer Vergewaltigung geht es auch in Claudia Llosas mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetem „La teta asustada“ („The Milk of Sorrow“). Die Peruanerin erzählt in ihrem nach dem Debüt „Madeinusa“ zweiten Spielfilm von einer jungen Frau, die die Traumatisierung ihrer vergewaltigten Mutter durch die Muttermilch in sich aufgenommen hat. Um einem ähnlichen Schicksal wie ihre Mutter zu entgehen, hat sich die von Ängsten gequälte Frau eine Kartoffel in die Vagina eingepflanzt. Prächtig fotografiert und mit einer starken Magaly Solier in der Hauptrolle entwickelt sich der allzu symbolreiche Film nach starkem Beginn mit zunehmender Dauer allerdings immer zäher.

Handfester ist da schon „The Messenger“, in dem Oren Moverman von zwei Offizieren erzählt, deren Aufgabe es ist Angehörige von Irakkrieg-Soldaten vom Tod ihres Sohnes oder Mannes zu informieren. Ohne das Kriegsgeschehen zeigen zu müssen, wird so erschütternd deutlich, dass es in einem Krieg nur Opfer gegen kann. Denn neben den mal aggressiv, mal in laute und mal in leise Trauer ausbrechenden Angehörigen gibt es auch den von Ben Foster wunderbar gespielten jungen „Engel des Todes“, der in einer starken Szene seinem älteren und scheinbar abgebrühten Partner (ein grossartiger Woody Harrelson) von seinen schrecklichen Kriegserlebnissen berichtet. – „The Messenger“ ist ein Film des ruhigen und geduldigen Blicks, der Eindringlichkeit dadurch gewinnt, dass er seinen Figuren Zeit und Raum lässt ihre Gefühle zu entwickeln. Hier sind keine aufdonnernden filmischen Mittel nötig. Moverman kann sich im Vertrauen auf seine aufwühlende Geschichte und starke Schauspieler zurückhalten.
Kinochancen dürfte auch Rachid Boucharebs „London River“ haben. Denn die Geschichte um eine britische Christin und einen afrikanischen Muslim, die sich auf der Suche nach ihren seit den Londoner Bombenanschlägen vom Juli 2005 vermissten erwachsenen Kindern begegnen und näher kommen, ist ein sehr menschliches Plädoyer für Toleranz, allerdings von einer Schlichtheit in der Erzählweise und einem Gutmenschentum durchzogen, die nur noch Kopfschütteln hervorrufen können.

Für die grösste Enttäuschung des Festivals sorgte aber vielleicht der griechische Meisterregisseur Theo Angelopoulos. In „The Dust of Time“ demonstriert er zwar immer noch in einzelnen Passagen seine Meisterschaft im Verschränken von Zeitebenen, führt immer noch einzelne grandiose Plansequenzen vor, doch der Versuch die Liebesgeschichte aus „Die Erde weint“ von 1950 bis zur Jahrtausendwende fortzusetzen und mit der Weltgeschichte zu verknüpfen verliert sich im reichlich zusammenhangslosen und beliebigen Abhaken von historischen Eckdaten. – Ein Flickwerk mit vielen losen Enden und isolierten Szenen, in dem Angelopoulos sich vielfach auch nicht der Totalen, die ihn berühmt machten, sondern der Grossaufnahmen und konventioneller und schneller Schnittfolgen bedient.
(Walter Gasperi)

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