Aufbruch ins richtige Leben. Andrea Lüthi über Sam Mendes

Sein erster Kinofilm „American Beauty“ machte den englischen Theaterregisseur Sam Mendes schlagartig bekannt. Auch in seinem fünften Film „Away we go“ fragen sich Menschen, wie und wo sie im Leben stehen.

Wochenlange Proben seien selten beim Film; mit Sam Mendes aber hätten sie wochenlang an ihren Rollen gefeilt, sagt eine Schauspielerin über die Dreharbeiten zu „Away we go“. Möglich, dass sich hier die beruflichen Wurzeln des Engländers zeigen. Sam Mendes, der in New York lebt, war künstlerischer Direktor des Donmare Warehouse Theatre in London und arbeitet nach wie vor als Theaterregisseur. Gegenwärtig ist er unterwegs mit „The Bridge Project“, bei dem das Ensemble je zur Hälfte aus Amerikanern und Engländern besteht. Es führte Mendes im Mai auch nach Deutschland an die Ruhrfestspiele Recklinghausen, wo er mit Stars wie Ethan Hawke und Rebecca Hall Tschechows „Kirschgarten“ aufführte.

Mag seine Arbeit mit Schauspielern auch ans Theater erinnern – seine Filme tun es nicht. Denn hier weiss der 44-jährige Regisseur gerade die filmspezifischen Gestaltungsmittel zu nutzen. Er kostet den unbegrenzten Raum aus, lässt die Kamera über Vorstadtsiedlungen oder endlose Wüsten schweifen. Er lenkt den Blick der Zuschauer auf Gesichter und lässt einen mithilfe von Montagetechniken, Zoom und Kamerafahrten in die Fantasien seiner Figuren eintauchen. Das zeigte sich besonders in seinem ersten Kinofilm „American Beauty“ (1999), der mit mehreren Oscars ausgezeichnet wurde. Vor allem aber thematisiert Mendes hier erstmals eine Lebensunsicherheit, die auch in seinen späteren Filmen anklingt. Ein Familienvater versucht sich aus seiner Lethargie zu lösen, beginnt wieder zu kiffen und zu trainieren, als er für die Freundin seiner Tochter entflammt. Die wiederum hat Angst, gewöhnlich zu sein – „es gibt nichts Schlimmeres“. Und der Freund der Tochter, der sein eigenes Leben zu gestalten wagt, wird von seinem regelkonformen Vater verprügelt.

Flucht und Neubeginn
Bewusst leben, das möchten viele Figuren in Mendes’ Filmen. Da ist die Angst, nichts Besonderes zu sein oder das Leben verpasst zu haben. Und da ist der Drang, aus dem bisherigen Leben zu fliehen. Die einen vertuschen ihre Ängste durch ununterbrochenes Quasseln, andere leiden still. Im Gangsterfilm „Road to Perdition“ (2002) überdenkt ein Profikiller seinen Lebensstil und gibt seinen Beruf auf, um seinem Sohn ein besseres Leben zu ermöglichen. Und im Irakkriegsfilm „Jarhead“ (2005) finden die Marines ihre Identität nur im Krieg. „Im zivilen Leben wüsste niemand, dass ich lebe“, sagt einer von ihnen. Am radikalsten aber tritt die hoffnungslose Leere des Lebens in der Literaturverfilmung „Revolutionary Road“ (2008) zutage. Leonardo Di Caprio und Kate Winslet (im Übrigen Sam Mendes’ Ehefrau) spielen ein Paar, das im Vorstadtmief gelandet ist. Als die Frau erkennt, dass sich ihr Leben nicht von dem der anderen abhebt, will sie mit ihrer Familie ausbrechen ins „richtige Leben“. Doch eine Schwangerschaft verhindert den Plan, nach Paris zu ziehen – und dem bürgerlich gewordenen Mann kommt das ganz gelegen. Auch die schwangere Rona und ihr Partner Burt in Sam Mendes neuestem Film „Away we go“ stellen sich die Frage, ob sie bis anhin falsch gelebt haben. Sie aber brechen tatsächlich auf, um neue Lebensmodelle auszutesten. So tragisch „Revolutionary Road“ mit Verzweiflung und Tod endet, so hoffnungsfroh ist der Schluss von „Away we go“. Rona und Burt finden nicht nur das ideale Heim, sondern auch sich selber in der Liebe. Sam Mendes aber wird sich weiterhin mit Ausbrüchen aus dem bisherigen Leben befassen müssen. Gegenwärtig dreht er „Lost in Austen“, wo die Hauptfigur die Grenzen ihres realen Lebens sprengt und in ihren Lieblingsroman eintaucht.
(Andrea Lüthi)

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